Glänzender Tornado: FENIX Museum of Migration in Rotterdam

„Ist das eine Wasserrutsche?“ Unzählige Male haben die Architektur-Guides von architour diese Frage gehört, seit auf dem alten Fenix-Lagerhaus in Rotterdam eine silbern glänzende, kurvenreiche, verzogene Doppelhelix thront. Aus der Ferne könnte man in der Tat vermuten, dass die wirbelnden Röhren in ein Spaßbad münden. In Wirklichkeit handelt es sich – schlicht gesagt – um das wahrscheinlich aufwändigste Treppenhaus der Niederlande. Es erschließt die Ausstellungssäle des neuen FENIX Museum of Migration und führt auf eine Aussichtsplattform in 24 Meter Höhe.

The Tornado lands in the atrium of the museum. ©Anneke Bokern / architour
Migration ist alltäglich
Das Lagerhaus San Francisco wurde 1923 erbaut und war damals mit einer Länge von 360 Metern das weltweit größte Bauwerk seiner Art. Auftraggeber war die Reederei Holland Amerika Lijn, die ab Ende des 19. Jahrhunderts Millionen von Menschen, darunter viele Auswanderer, vom direkt gegenüberliegenden Wilhelminapier nach Amerika beförderte. 1948 brannte der Mittelteil des Lagerhauses ab, woraufhin die zwei übriggebliebenen Gebäudeteile in Fenix I und Fenix II umbenannt wurden. Nach jahrelanger Zwischennutzung wurde Fenix II 2018 an die philanthropische Stiftung Droom en Daad verkauft, die das Lagerhaus zum Migrationsmuseum transformieren wollte. Der chinesische Architekt Ma Jansong (MAD Architects) wurde mit der Gestaltung des verspiegelten Blickfängers beauftragt; um die Sanierung des Bestandsbaus kümmerte sich Bureau Polderman aus Rotterdam.
Wider Erwarten ist in FENIX, das Ende Mai eröffnet wurde, keine historische Ausstellung, sondern vor allem Kunst zum Thema Migration zu sehen. Im Erdgeschoss liegt ein weitläufiges Atrium mit Café und Museumsshop, flankiert von zwei Sälen mit einem Kofferlabyrinth und einer Fotoausstellung. Hauptbereich ist jedoch der erste Stock, wo sich auf nicht weniger als 6000m2 Kunstwerke von Holbein und Rembrandt bis Steve McQueen und Francis Alÿs verteilen, abgewechselt mit historischen Objekten wie einem Stück der Berliner Mauer. Migration ist alltäglich und allgegenwärtig, lautet die Botschaft.

Spacious exhibition halls in the old warehouse. ©Anneke Bokern / architour
Promenade architecturale
Zugang zur Ausstellung bietet der sogenannte Tornado, der sich als ungemein fotogener Gewaltakt mitten in das Atrium schraubt. In 297 blank polierte, doppelt gekrümmte Edelstahlpanele gehüllt und innen mit Keroby-Holzplanken ausgekleidet, ist er gleichzeitig Erschließung und promenade architecturale. Auf dem Weg nach oben wechseln sich Treppen und Rampen ab und kreuzen sich die beiden Routen mehrmals, so dass die Besucher immer wieder Entscheidungen treffen müssen – eine vielleicht allzu offensichtliche Metapher für Migrationsreisen. Oben angekommen, kann man unter einer Edelstahl-Mütze stehend die spektakulären Spiegelungen der umliegenden Hochhäuser bestaunen.

The ascent is accompanied by spectacular reflections. ©Anneke Bokern / architour
So effektheischend der Tornado sein mag, so wohlkuratiert und -präsentiert ist die Ausstellung, die ihre Botschaft ganz ohne erhobenen Zeigefinger zu vermitteln weiß. Während man durch die weitläufigen, lichtdurchfluteten Säle spaziert, bieten (neu eingefügte) Fenster immer wieder Ausblicke auf die Stadt und verankern das Thema im Hier und Jetzt.

Photo moment on top of the Tornado. ©Anneke Bokern / architour
Natürlich ist das alles nur möglich, weil die von einer wohlhabenden Reederfamilie gegründete Stiftung Droom en Daad richtig viel Geld in das alte Lagerhaus und die Sammlung gepumpt hat. Man kann jedoch sicher schlechteres mit seinen Millionen anfangen. Rotterdam ist jedenfalls mal wieder um eine Hochglanz-Ikone reicher, und zum Glück ist es keine bloße Wasserrutsche.
Text: Anneke Bokern, Architour